Mariana Sadovska: Der Frühling ist Unser! Eine Konzertreise nach Slowjansk, Kramatorsk …

 

Empfehlung, Krieg im Donbas, Kultur

Ich habe schon auf dem Bahnhof in Slowjansk angefangen diesen Bericht zu schreiben, wartend auf meinem Zug nach Kyiw. Ich wollte irgendwie die richtigen Worte finden, um alles zu beschreiben- kurz und knackig. Es ist mir nicht gelungen. Es ist ein längerer Brief an euch alle geworden. Das stärkste Gefühl, das ich dort spürte, war, dass ich dorthin zurückkehren will. Ich will, ich muss, bald, sehr bald. Das ist das einzige, was jetzt Sinn macht, das ist das wichtigste.

Diese Reise nach Osten der Ukraine, in die von der Okkupation befreiten Städte Slowjansk, Kramatorsk und Sewerodonezk erlebte ich zusammen mit einer „musikalisch-poetischen Landung“, initiiert vom Schriftsteller Serhij Schadan und organisiert mit der Hilfe der Kunstinitiative „Letzte Barrikade“. In einem kleinen Minibus, zusammen mit der jungen Dichterin und Filmregisseurin Iryna Tsilyk aus Kyiw, mit dem berühmten Schriftsteller und Publizist Andrej Kurkow (ethnischer Russe, wohnt in der Ukraine und schreibt auf russisch), mit dem jungen Dichter Oleksandr Demtschenko aus Donezk (der im Frühling letztes Jahr wegen seiner Liebe für die Ukraine schwere Messerverletzungen erlitten hat, und glücklich überlebte – er musste mit der ganzen Familie die Stadt verlassen) fahren wir durch die Straßen und Pisten, umgehen die durch Separatisten zerstörten Brücken und Straßensperren. Das alles, um Gedichte zu lesen, Prosa zu lesen, zu singen und einfach mit Leuten zu sein. Das Ganze ist eine Benefizaktion. Wir kriegen keine Honorare, die Zuschauer müssen nichts bezahlen. Das Projekt heißt Ukrainischer Frühling”.

plakatSlowjansk, 27.02.

Wir haben einen Auftritt an der Universität, die einzige funktionierende Uni in der ganzen Donbas-Region. Ein Saal mit ca. 700 Plätzen ist voll – Studenten, ältere Generationen, Flüchtlinge, Soldaten aus den Freiwilligen-Bataillonen und von der regulären Armee, Kinder…

Es ist nur ein paar Monate her, dass in dieser Stadt das Hauptquartier des Reserveoberst des russischen Geheimdienstes FSB Girkin war, der, nach der erfolgreichen Operation auf der Krim, in den Donbas geschickt wurde. Es ist nicht lange her, als mein Freund, Theaterregisseur aus Kyiw, gebürtig aus Donbas, drei Monate als Geisel in einem der Keller des russischen Geheimdienstes in Slowjansk verbracht hat. Es ist nicht lange her, dass die Stadt durch Artillerie beschossen wurde. Es gab kein Wasser, keinen Strom, keine Lebensmittel. Und heute sind sie alle gekommen um Gedichte zu hören! Sie hören mit unglaublicher Aufmerksamkeit, als versuchten sie jedes Wort einzufangen, als hätten die Worte eine heilende Kraft, die beruhigen, die beschützen werden. So ähnlich, wie die blauen und gelben Farben der ukrainischen Flagge, die hier überall zu sehen sind, auf jeder Wand, auf jeder Mauer und jedem Strommast, wie ein Talisman, der die Stadt vor dem Bösen beschützen soll.

bühneNach dem Auftritt verschenken wir neueste Bücher von Schadan und Kurkow für die Bibliothek der Uni. Ich habe auch zwei Bücher mitgebracht, vom Dichter Jury Vozhyk, in Slowjansk geboren, der aber jetzt neben Düsseldorf lebt. Der hat die Bücher zum Flughafen gebracht, mit der Bitte an mich in seiner Heimatstadt für ihn zu „atmen“…

Nach dem Auftritt haben wir eine „Exkursion“ durch die Stadt gemacht – zerstörte Gebäude, das dunkle Haus des Geheimdienstes, wo man das Gefühl bekommt, die Separatisten seien gerade erst davon gelaufen, der Berg Karatschun, wo jetzt ukrainische Soldaten stationiert sind, und wo die Separatisten vor ihrem Abzug den Fernsehturm gesprengt haben. Der Ort, an dem ein Hubschrauber beschossen wurde, und General Sergej Kultschizki und elf Soldaten starben.

Zufällig war dieser Tag so sonnig, wie nur ein Frühlingstag sein kann…Auf den Straßen spazieren junge Mütter mit Kinderwägen, spielen Kinder, Geschäfte und Cafés sind geöffnet. Man hört keinen Beschuss. Die Stadt versucht wieder normal zu leben. Die Stadt atmet mit der Hoffnung, dass das schlimmste schon hinter ihr liege.

Kramatorsk. 27.02.

Sofort danach fahren wir nach Kramatorsk. 15 km entfernt, um 18 Uhr haben wir einen Auftritt da.

Aber ich muss unbedingt vorher das Flüchtlingsheim besuchen, ich habe eine besondere Aufgabe: Ich muss einen Teil der durch meine Freunde, Bekannte und Unbekannte in Köln gesammelten humanitären Hilfe übergeben.

Oksana Wassiljewa, Volontärin aus Kramatorsk, versucht mir und Sashko Demtschenko in kurzer Zeit das ganze Haus zu zeigen. Wo sie schlafen, wo sie wohnen, wo der Essraum ist, wo man die Spenden sortiert. Im Haus sind hauptsächlich Frauen und Kinder. Ich werde die Fotos für mich sprechen lassen…

Ich schenke den Kindern die Bilder, die deutsche Kinder für sie gemalt haben; ich erzähle, wie in Köln Leute an sie denken und mit ihnen mitfühlen; mit allen, die ihr Haus und ihr Leben in Eile zurücklassen mussten, für die Ungewissheit, für immer vielleicht….Die Frauen und Kinder schauen mich traurig und zurückhaltend an … ohne Vertrauen … Ich finde kaum passende Worte … Ich kämpfe mit Tränen … In einem Zimmer ist ein alter Mann, der sich weigert den Mantel und die Schuhe auszuziehen, da er immer noch unter Schock steht und nicht glauben kann, dass er hier in Sicherheit ist.

Ich versuche schnell zu erklären, welche Vitamine für wen sind, welche für Kinder, welche für Erwachsene … (Tausend dank an die Gynäkologin aus Köln, die Vitamine für Schwangere und kleine Kinder gespendet hat.)

Ich lasse 100 Euro für die Milchprodukte da – das fehlt im Moment am meisten, sagte Oksana.

Ich versuche, über euch alle zu erzählen, die so herzlich und großzügig gespendet haben, unterstützt haben … Ich versuche nicht nur die Sachen abzugeben, sondern die ganze Wärme, Kummer, Mitgefühl und Liebe, die Ihr alle gegeben habt … Am Ende fragt eine Frau: „Kannst du für uns singen?“

Wie soll ich euch das beschreiben – auf einmal, für einen kurzen Moment, statt des Misstrauens, zeigen sich auf den Gesichtern Neugier, Lächeln, Staunen und … kleine Tränen: „ So hat meine Oma gesungen“ …

Ich muss mich beeilen, der Auftritt hat schon angefangen, die Schriftsteller lesen bereits aus ihren Texten. Diesmal in einem kleinen Raum – es ist ein „Freies Haus“- eine Initiative von jungen Leuten aus Kramatorsk. (die sehen so aus wie Mitglieder einer Rockband). Die haben ein kleines Café organisiert, mit Bibliothek, Spielraum, Workshops, Lesungen … alles, was jetzt so gebraucht wird, damit die Seele wieder glauben kann, damit die Seele aufhört sich zu fürchten, damit die Seele den dunklen Raum des Kellers vergessen kann, wo man sich vor dem Artilleriebeschuss versteckt hat, damit die Seele die schwache Hoffnung nicht verliert, dass dieser Albtraum bald zu Ende sein wird und der Frühling kommt.

Und wieder – die Zuschauer hören mit unglaubliche Aufmerksamkeit, manche — singen sogar mit mir! Ich kann es nicht glauben – hier in dieser Stadt habe ich meine Fans! Wie kann ich das Licht in ihren Augen beschreiben? Wir verschenken Bücher, wir machen Fotos, geben „Autogramme“, umarmen uns, danken uns gegenseitig dafür, dass wir hierher gekommen sind, dafür, dass die da mit aller Kraft gegen das Böse aufstehen.

Nach dem Konzert kann ich einen vollen Rucksack mit Medizin, die ich von einer Apotheke in Köln bekommen habe, abgeben. Sie geht an das Mobile Hospital in Artemiwsk.

Die Straßen . Die Blockposten [Straßensperren].

Am nächsten Tag reisen wir nach Sewerodonezk. Es sind nur 80 km. Wir brauchen vier Stunden dafür. Die Separatisten haben die Brücken gesprengt. Mann muss durch kleine Dörfer und über improvisierte Pontonbrücken fahren. Das gibt uns eine Möglichkeit, ein bisschen die Schönheit der Natur hier zu bewundern – Steppen, Schluchten, ein Flussdelta – es ist wunderschön hier, obwohl es noch grau ist. Ich versuche mir vorzustellen, wie es wird, wenn der Frühling kommt.

Wir sind nur wenige Kilometer von der Frontlinie entfernt. Suchen den richtigen Weg, um zu vermeiden, in die falsche Richtung zu fahren, die noch durch die russische Armee kontrolliert wird.

Aus dem Fenster sehe ich den Wald mit durch Beschuss zerbrochenen Bäumen. Es ist ein Naturschutzgebiet. Die Separatisten haben vor ihrem Abzug im Wald Minen versteckt. In den Feldern auch. Niemand hat Zeit die Minen zu finden, erklärt uns später ein Geschäftsmann, ein Freiwilliger aus Sewerodonezk. Was bedeutet es, denke ich, zum Beispiel Pilze zu suchen? Was wird, wenn die Kinder dort spielen? Als Antwort sagt Wadim:„ Pilze sind das kleinste Problem, das schlimme ist – bald ist ja Frühling, man muss auf die Felder …“

Etwas besonderes sind die Blockposten. Je näher wir zu einer Stadt kommen, desto schärfer und ernster werden die Kontrollen. Die Soldaten sehen müde und hart aus, sie kontrollieren die Namen der Männer. Am gleichen Tag wurde in der kleinen Stadt Lysytschansk, durch die wir gefahren sind, ein Separatist festgenommen. Wir haben aber einen Brief aus dem Ministerium der Verteidigung. Als ein Soldat erfährt, das im Bus Schriftsteller fahren, kommt ein bescheidenes Lächeln auf sein Gesicht, und er fragt: „ Habt ihr zufällig ein Buch für mich? Manchmal will man so sehr etwas lesen …“

Ich schreibe diese Worte, und ich erinnere mich, wie stark ich dachte, dass das alles nur ein Traum ist … ein Albtraum … All diese Männer mit Waffen, diese Panzer, militärischen Fahrzeuge … Es ist doch nur ein Traum? Es darf nicht sein, nicht im 21 Jahrhundert, nicht in meinem Land, nicht in Europa … Das ist ein Traum, und bald wird er zu Ende sein, oder?

Und dann fasziniert mich auch, dass die Soldaten nach Büchern fragen. Das ist doch irgendwie nicht real … In ihren freien Minuten lesen sie Gedichte … Am Blockposten darf man nicht fotografieren, deshalb habe ich versucht, mich einfach zu erinnern, wie diese Wohnhöhlen aussehen, die Schützengräben, die schwarzen Wunden in der Erde – von den Minen … Später erzählt Wadim, wie gut organisiert alles bei den Soldaten ist, ein separates Erdhaus für Lebensmittel, ein separates für Küche und Esszimmer, sauber, wie bei der besten Hausfrau, sogar eine Dusche gibt es auf einem Blockposten – wo man sich mit Feuchttüchern duschen kann … Warme Klamotten, Schuhe, Uniform, Schutzwesten haben die Soldaten von den Volontären bekommen, das Essen und Trinkwasser, das Holz, um sich zu wärmen, auch … Manchmal habe ich das Gefühl, dass die russische Armee gegen eine zivile Armee von Volontären kämpft. Wadim erzählt, wie die Geschäftsfrauen von Sewerodonezk für die Soldaten Weihnachten organisiert hatten – mit Weihnachtsliedern und riesigen Eimern des berühmten Kartoffelsalats „Olivier“ und Heringssalat …

Sewerodonezk, 28.02.

Hier sind wir eingeladen durch Geschäftsleute. Der Auftritt wird in einem Kulturhaus sein, 500 Plätze, der Saal ist voll …

Still, durstig, hören uns die Zuschauer zu, danach bekommen wir eine heiße Dankbarkeitswelle zurück, Fotoserien, Autogramme, Umarmungen …“Danke, dass Sie kein Angst haben, zu uns zu kommen, es ist so wichtig für uns,“ – das hören wir oft …

Wir hören viele Erzählungen über die Zeit der Okkupation. Hier gab es keine gebürtigen Separatisten, hier gab es nur ein Bataillon von Tschetschenen. Man lernte, wie sich der Klang der verschiedenen Minentypen unterscheidet … Wir besuchen das Café „Artischocke“. Bei Tatjana, der Cafébesitzerin, können die Soldaten kurz ausatmen, Wäsche machen, sich wärmen, singen und Gitarre spielen.

Unser Abend in Sewerodonezk wird lang, wir singen, reden, tanzen sogar….in einem Moment singe ich das Lied, dass ich zum neuesten Gedicht von Serhij Schadan geschrieben habe. Es handelt von der zerstörten Stadt … Saschko bekommt Tränen in die Augen. Auf meinen Versuch, ihn zu trösten, sagt er: „du kannst es dir nicht vorstellen, wie sehr ich meine Stadt, mein Donezk liebe“.

Ich habe nie gedacht, dass ich so etwas so stark fühlen werde – die Liebe für meine Stadt, für mein Land, für meine Leute…Diese Liebe erlaubt uns nicht, den Donbas „herzugeben“, um eventuell einen größeren Krieg zu vermeiden … Es muss eine andere Lösung sein, wie man diesen absurden und schrecklichen Krieg stoppen kann.. dieses „Mordor“ (aus „Herr der Ringe“), wie wir das Putin-Imperium nennen.

Als ich mit Hilfe von Volontären von Maidan Köln von Euch gespendete Sachen gepackt habe – Kleidung für Kinder und Erwachsene, Schuhe, Bücher, Spielzeug, Windeln, Zahnpasta, Vitamine, habe ich ganz stark gedacht, dass wir rational keine Chance haben, uns gegen Putin zu stellen … nicht auf der politischen, ökonomischen oder – schon gar nicht- auf der militärischem Ebene … Aber … es gibt etwas anderes, Irrationales, wie damals auf dem Maidan! Es gibt all die Menschen, die sich bei mir gemeldet haben, die Sachen gebracht haben, gewaschen, sortiert, die Mitgefühl und Wärme geschickt haben, die so eine Liebe und Menschlichkeit zusammen gebracht haben … Das muss gewinnen! Das ist irrational!!! Das ist meine einzige Hoffnung …

„Es schlagen die Herzen … es schlagen die Herzen“ (aus einem Gedicht von Serhij Schadan)

Mariana Sadovska, Köln

dom-jaroslavmonchak

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